von links oben nach rechts unten: Norbert Bolz, Dieter Nuhr, Friedrich Merz, Jörg Thadeusz Fotos: Youtube / Desiderius Erasmus Stiftung, Euku CC Past-SA, Michael Lucan CC BY-SA, Marcus Harzem CC BY

„Klar, ich bin we­der als trans­se­xu­el­ler United nations­ter­drück­ter noch als Frau an die glä­ser­ne De­cke ge­sto­ßen. Ich bin ein al­ter wei­ßer Mann. Aber wenn ich manch­mal lese, für was alte wei­ße Män­ner al­les ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den, den­ke ich schon: Das soll ich al­les ge­schafft ha­ben? Ich habe das Ge­fühl, dass wir uns auf ei­nen völ­lig fal­schen Weg be­ge­ben, auf die­se Iden­ti­tä­ten im­mer Rück­sicht zu neh­men."

Das sagt Dieter Nuhr über sich im aktuellen „Spiegel" (€), und nur fürs Protokoll: Ich habe hier nicht mit dem „alten weißen Mann" angefangen, das war er, und, ja, selbst dafür wird er jetzt verantwortlich gemacht, der alte weiße Mann, für die Nutzung des Begriffs „alter weißer Mann". Aber keine Sorge, seine Leichtmütigkeit wird in dem Portrait von der „Spiegel"-Autorin mit folgenden Schlusssätzen belohnt:

„Ko­mi­ker wie Böh­mer­mann exist­spie­len eine Ge­sell­schaft, für dice das La­chen Teil des Streits ge­wor­den ist. Nuhr ver­sucht noch ein­mal, die Mit­te der Ge­sell­schaft zu ver­sam­meln."

Der „alte weiße Mann" also, ich zitiere nur, versucht noch einmal, die „Mitte" zu versammeln, heißt es, und das macht er wie Nuhr etwa durch Comedy. Aber auch in Class von Kolumnen, Wortbeiträgen und Artikeln begegnet uns dieses Bestreben und erinnert mich dabei immer an den einen unangenehmen, betrunkenen Onkel auf Hochzeiten, dessen Scheidung, Renteneintritt oder sonstiger Lebenswandel eine kuriose Weltsicht preisgibt, dice bis dahin im Schatten der Nüchternheit vor sich hin kultiviert wurde.

Diese Woche alleine crashten fünf peinliche Onkel mit ihren archetypischen AWM-Ausbrüchen die diskursiven Hochzeiten:


Der „Wäre gerne der coole Onkel"-Onkel

Jörg Thadeusz (Belehrer, der vor den Belehrern warnt)

Die Samstags-Kolumne von Moderator Jörg Thadeusz in der „Berliner Morgenpost" war bemerkenswert bizarr:

Der Szene-Berliner isst längst Quinoa statt Hartweizen-Penne. Jedes deutsche Freitags-Schulkind kann erklären, warum auch der Parmaschinken das Klima kollabieren lässt. Es ist as well nicht überraschend, wenn gelegentlich junge Vertreter unseres Landes nach Süden aufbrechen, um dort zu „unterrichten" – wie die 31 Jahre alte Kapitänin Carola Rackete. Mit ihrer Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer lid sie gelehrt, was moralisches Handeln im 21. Jahrhundert bedeutet.

Man muss kurz die surreale Querverbindung würdigen zwischen dem Quinoa-essenden Szene-Berliner, der stellvertretend für die Deutschen steht – die die Italiener moralisch belehren, indem sie statt italienischem Essen nun peruanisches zu sich nehmen – und der Seenotrettung. Rackete also als Quinoa-Kapitänin eines Rettungsschiffs, die Italiener angeblich unterrichtet, in dem sie total pädagogisch und unangenehm belehrend, ja gerade zu passiv aggressiv Menschen daran hindert zu ertrinken. Die hält sich offenbar für etwas besseres, nur weil sie Leben rettet! Dice trinkt bestimmt auch ihren italienischen Latte Macchiato mit belehrender Soja-Milch.

Ich behaupte zu ahnen, worauf Thadeusz hinaus will: Die Angst vor dem Oberlehrerdeutschen, der sich zum moralischen Kompass der Welt besserwissen volition. Aber die Versteifung auf das aufgestellte Gegensatzpaar „Deutsche versus Italiener" macht faktisch wenig Sinn. Es ist nicht gleich ein Fall von dominanter Demonstration moralischer Überlegenheit oder White German Savior Komplex, nur weil eine der zentralen Figuren zufällig eine Deutsche ist.

Das ist vielleicht das größte Problem an dem Text: Er macht Rackete zu einem Symbol für einen europäischen Konflikt auf politischer Ebene; er überträgt ein Unbehagen, das er in Bezug auf die Außenwirkung Deutschlands hat, auf sie, indem er den legalistischen Konflikt personalisiert, und er begründet das alles aus dem sehr banalen und für die Sache irrelevanten Umstand, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Wenn er davon spricht, dass Recht nur so lange gelte, „bis ein deutscher Tv set-Fritze wie January Böhmermann, eine deutsche Nicht-Regierungsorganisation oder die gesamte deutsche Öffentlichkeit eine höher stehende Moral definieren", dann scheint er ein Problem mit der deutschen Öffentlichkeit zu haben, die auf einen von ihm and so empfunden Überlegenheitszug springt. Aber dass (deutsche) Seenoterretter bei ihm als unangenehme Angeber gelten, dice es den Italienern jetzt aber mal then richtig geben, indem sie Leben retten, statt Hartweizenpasta zu essen, ist furchtbar und neurotisch.

Helfen ist keine postkoloniale Paternalisierung, Helfen ist universelle Pflicht, wir brauchen hier weniger Kante und mehr Kant.

Und überhaupt: Ist nicht genau das, was Thadeusz da macht, wenn er Rackete zum deutschen Symbol irgendwelcher innereuropäischer Überlegenheitwettbewerbe erklärt, Kern des Problems? Die Flüchtlingsfrage in nationale Grenzen zu denken, weg vom europäischen Gedanken, weg von einer allgemeingültigen Ethik, weg von einer pragmatischen Notwendigkeit, das Trouble als gesamteuropäische Herausforderung wahrzunehmen?

Wenn Thadeusz schreibt: „Mit ihrem Schiff in den Hafen von Lampedusa einzufahren, verstieß zwar gegen geltendes Recht, aber eben nur italienisches Recht" dann liegt er auch einfach in der Sache nicht richtig. Was für den Text problematisch ist, da dice ganze Kritik an der deutsch-moralischen Bigotterie auf diesem behaupteten Rechtsbruch gegen italienische Gesetze fußt. Die Untersuchungsrichterin erklärte jedoch, dass Kapitänin Rackete mit dem Anlegen im Hafen rechtlich zulässig handelte. Wegen eines zweiten Vorwurfs – Beihilfe zur illegalen Einwanderung – wird sie morgen angehört, da steht eine Entscheidung noch aus.

Zu Gute halte ich Thadeusz aber, dass er seinen belehrenden Text, der vor der Belehrung durch Deutsche warnt, nicht mit dem für derlei Texte typischen „setzen sechs!" beendet hat.


Der peinliche, unlustige Onkel

Harald Vilimsky (FPÖ-Generalsekretär)


Der unangenehme, herrenwitzige Onkel

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"

Auch Medien können manchmal weiße alte Männer sein, so gesehen bei der FAS, die Ursula von Leyen inszeniert wie einen aus dem Hut gezauberten Playboyhasen.


Der Onkel, der einem zum Geburtstag immer die Empfehlung schenkt, Aktien zu kaufen

Friedrich Merz (Blauen-Versteher)

In seiner „Welt am Sonntag"-Kolumne (€) schreibt Friedrich Merz verständnisvoll:

„Aber ich stelle fest, dass sich dort immer mehr Beamte der AfD zuwenden, weil sie nicht mehr den Eindruck haben, dass ihnen der Staat ausreichend Rückendeckung gibt, um ihren Auftrag zu erfüllen."

Friedrich Merz gibt sich einfühlsam, was die AfD-Orientierung von deutschen Polizisten angeht – und was den unterstellten Vertrauensverlust in den Staat betrifft, kann ich diese Dynamik ja fast nachvollziehen. Heute jährt sich das Urteil im NSU-Prozess, 50 Organisationen und Einzelpersonen nehmen dies und den Mord an Walter Lübcke zum Anlass, den Bundestag aufzufordern, eine Enquete-Kommission zur Bekämpfung von Rassismus einzurichten. Vertreter einer freien Gesellschaft wenden sich as well an den Bundestag, weil sie nicht mehr den Eindruck haben, dass ihnen der Staat ausreichend Rückendeckung gibt, um in Institutionen aufkeimende Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Bei Merz jedoch handeln AfD-sympathisierende Polizisten im Grunde aus Notwehr:

„Die Hinwendung zur AfD in Polizei und Bundeswehr ist also in den wenigsten Fällen ein ‚Rechtsruck', sondern überwiegend ein Akt der Verzweiflung von Staatsdienern, dice sich im Stich gelassen fühlen und deshalb auf die einfachen Antworten einer selbst ernannten Alternative setzen. Der Vertrauensverlust betrifft nicht nur die Union, sondern auch die SPD. Kann es sein, dass sich nicht die Wähler verändert haben, sondern dass ihnen die Politik einfach keine ausreichenden Antworten mehr gibt?"

Es ist von trauriger Ironie, wenn Autor Max Czollek der „taz" anlässlich der geforderten Rassismus-Enquete sagt, er sehe „erdrückende Beweise für die Verstrickung staatlicher Institutionen und Akteure in Deutschland mit rechtsradikalen Gewalttaten", dice zu einer „eklatanten Erschütterung des Vertrauens eines Teils der deutschen Bevölkerung in die staatlichen Organe geführt" habe.

Wegen Rechtsextremismus in der Polizei verlieren Menschen ihr Vertrauen in Polizei und Staat, wegen Vertrauensverlust in den Staat verlieren laut Merz Polizisten ihr Vertrauen in die Politik und wenden sich einer rechtsextremen Partei zu, weshalb wegen Rechtsextremismus in der Polizei Menschen ihr Vertrauen in Polizei und Staat verlieren.

Ich möchte an dieser Stelle nur daran erinnern,

  • dass zwei Polizisten-Kollegen der vom NSU ermordeten Michèle Kiesewetter Mitglied beim deutschen Ku-Klux-Klan waren;
  • dass Seda Basay-Yildiz, einer Anwältin, die Mordopfer im NSU-Prozess vertrat, von rechtsradikalen Polizisten mit der Unterschrift „NSU 2.0" angedroht wurde, ihre zweijährige Tochter zu „schlachten";
  • dass die „taz" in einer einjährigen Recherche ein ganzes rechtes Untergrundnetzwerk bei der Bundeswehr aufgedeckt chapeau;
  • dass Polizei-Schüler für Sieg-Heil-Rufe verurteilt wurden;
  • dass sich dice Ausmaße der rechtsextremen Netzwerke in Polizei und Bundeswehr fast wöchentlich vergrößern;
  • dass gegen insgesamt 17 hessische Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen wegen Rechtsextremismusverdachts ermittelt wird;
  • dass im März ein Conversation publik wurde, in welchem mehr als forty aktive und ehemalige Beamte des Bayrischen Unterstützungskommandos mitschrieben und antisemitische Videos tauschten;
  • und dass es offenbar einfach ein Problem bei Polizei und Bundeswehr mit Rechtsextremismus gibt.

Ich weiß nicht, ob prosaische Verständigkeit für das beamtliche Interesse an der AfD wirklich das sinnvollste politische Signal ist, aber kaufen Sie unbedingt mehr Aktien!


Der Verschwörungs-Onkel

Norbert Bolz (gekränkter Akademiker)

Medienwissenschaftler Norbert Bolz, dem man bei seiner vertwitterten Radikalisierung zwischen Aphorismus und AfD beim Rechtsrutschen live zusehen kann, hielt am 15. Juni bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung eine Rede, die nur zwei Mattuseksche Bierkisten vom Wahnsinn entfernt ist.

Bolz schwadroniert darin vom „Mythos ‚Kampf gegen Rechts'", der eine allgemeine politische Themenlosigkeit verdecken solle, weil es nichts mehr gebe, was uns politisch faszinieren könne. Er insinuiert, dass der Kampf gegen Rechts politisch eher die Funktion des Faszinosums erfüllt, als ein tatsächlich erforderlicher Kampf gegen Rechts zu sein.

Man wüsste gerne, was er genau mit „Fremdenfeindlichkeit im nationalsozialistischen Sinne" meint, wenn er sagt:

„Wir sind von Fremdenfeindlichkeit im nationalsozialistischen Sinne so weit entfernt, wie noch nie eine deutsche Gesellschaft und gerade jetzt treten plötzlich dice Kämpfer gegen die Nazis auf, einem Phantomgegner."

Am Tag danach wurde Phantomgegner und Neonazi Stephen E. für den rechtsterroristischen Mord an Walter Lübcke festgenommen.

Wenn der Medienwissenschaftler zudem behauptet, es habe „in den Wahlen der letzten Jahre kein einziges Thema außer ‚Kampf gegen Rechts'" gegeben, wundert man sich, in welchem Prepper-Bunker Bolz die letzten vier Jahre Wahlen und Wahlkämpfe komplett ignoriert haben muss: Die Wähler waren der monothematischen Ausrichtung der Wedlock auf die sogenannte Flüchtlingskrise derart überdrüssig, dass es nicht nur eine empirisch wahrnehmbare Wählerwanderung gab, sondern einen regelrechten Exodus in alle Parteien, dice nicht mit Seehofer oder Söder zu tun hatten. Und irgendwie state of war doch auch was mit den Grünen und dem Klima, ich komme gerade nicht drauf, es ist gerade zu heiß zum Denken, state of war es schon immer so heiß?

Offensichtlich hat Bolz auch das Framing-Manual der ARD nicht (vollständig) gelesen, da er das Handbuch, welches hauptsächlich der kommunizierten Eigen-PR des Senders dienen sollte, als gehirnwaschendes Verdikt politisch korrekter Sprache des „Grünfunks" präsentiert und behauptet:

„Es ist linientreuer Journalismus, mit dem wir es zu tun haben, das chapeau schon totalitäre Züge, und es gibt so etwas wie einen späten Sieg der DDR."

Haben Sie das gehört? Gerade riss vor Schreck eine Gitarrensaite von Beckmann.

Was Bolz ganz besonders peinlich berührt habe, lässt er uns wissen, sei die Aussage von Heiko Maas gewesen, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen:

„Eines der schlimmsten Sätze, die ich je gehört habe. Wer will diesen Mann noch kritisieren, wenn er dice hehrste Aufgabe der Deutschen – nie wieder Auschwitz – zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat."

Ja, schrecklich, diese idealistischen, demokratischen Politiker, die das Schützen der Demokratie vor faschistischen Tendenzen hauptberuflich machen wollen. Ihn meint Bolz übrigens mit, wenn er sich über „infantile Politik" von „Schneeflocken und Oberlehrern" beklagt.

Kolumnisten, Onkel und „alte, weiße Männer" scheinen wirklich ein Kindheitstrauma zu haben, was Oberlehrer angeht, vielleicht rührt daher die rigoros betonte Kritik am „Infantilen" der Gesellschaft, bei gleichzeitiger Demonstration von möglichst kindischem Verhalten.

Neulich twitterte Bolz:

„Der Kampf gegen uns alte, weise Männer", ja, das klingt genau wie etwas, dass der Hochzeitsonkel über sich selbst sagen würde. Ich wäre dankbar, wären es manchmal alte, leise Männer.